Das Wort “Goldegg” hat seit einiger Zeit eine gewisse Präsenz in meinem Leben. Mehrere
Freunde von mir sind zu diesem Seminar schon hingefahren. Einige nur einmal oder zweimal,
andere gehören mittlerweile sozusagen zum Inventar. Viele Lieder und Einsingübungen, denen
ich begegnet bin, schienen auf irgendeine Weise dorthin zurückgeführt werden können.
Dieses Jahr beschloss ich herauszufinden, was es mit diesem “Goldegg” auf sich hat und
meldete mich für den Kurs mit Schwerpunkt Chorgesang an. Am 9. Februar verließ ich in der
Früh meine Wohnung (diese liegt ganz passend in der Wiener Goldeggasse) und begab mich
mit ein paar guten Freunden auf den Weg in die Berge.
Es war eine sehr interessante Erfahrung, den Proberaum im Schloss zum ersten Mal zu
betreten. Die Teilnehmergruppe war sehr vielfältig, auf mehrere unterschiedliche Weisen. Es
gab Kinder, ältere Leute, Musikstudenten, Hobbysänger und Chorleiter aller möglichen
Erfahrungsstufen. Alte Bekannte haben sich begrüßt, neue Teilnehmer versuchten sich einen
Haufen neuer Namen zu merken. Für meinen Namen war das keine schwere Aufgabe. “Ich
heiße ‘Vid’, wie ‘David’ ohne ‘Da’”, sagte ich immer.
Nach einer Einleitung von der Seite von Ute Buchner, der tollen Hauptorganisatorin des
Seminars fing nun der musikalische Teil des Tages an. In den Proben lernten wir die zwei
Dozenten, Michael Grohotolsky und Josep Vila i Casañas kennen. Beide haben eine
umfangreiche Auswahl von Liedern mit sich gebracht, die wir im Laufe der Woche einstudiert
haben. Es war viel Blattlesen und spontanes Lernen angesagt, trotzdem haben es sowohl
Michael als auch Josep geschafft, uns dazu zu bringen, die Lieder von Anfang an auch zu
interpretieren. Von emotionalen Pop Balladen wie Run to you von Pentatonix bis zu selbst
komponierten sakralen Stücken (In Paradisum, Sanctus, Benedictus) und Ohrwürmern wie
Nyon Nyon, die noch nachts im Bett auf Dauerschleife im Kopf blieben, war das gesamte
Spektrum von unterschiedlichen Genres dabei. Jedes Mal dass wir einen ersten verzweifelten
Durchlauf von einem Stück geschafft haben, wartete hinter den Noten eine neue Erfahrung auf
mich. Jedes Stück hatte etwas anzubieten dem ich bisher noch nicht begegnet bin. Außerdem
lernten wir mit jedem Stück Michael und Josep ein bisschen besser kennen.
Das Seminar hatte aber nicht nur Proben anzubieten. Eine Reihe von Workshops stand für
jeden zur Auswahl. Außerdem gab es Stimmbildung bei unterschiedlichen Teilnehmern des
Kurses und Privatissima bei den Dozenten.
Ich nahm meine Stimmbildungseinheit schon am zweiten Tag. Mit Hilfe von Kevin, meinem
ausgewählten Stimmbildner, erkundete ich als tiefer Bass die Höhen meiner Baritonstimme. Ich
brauche mehr Stütze, hieß es seinerseits. Jedes Mal wenn ich dachte, ich hätte meine
Höchstgrenze erreicht, hatte Kevin eine neue Übung bereit für mich, um mich noch einen oder
zwei Töne weiterzubringen. Er meinte dass ich eigentlich so wie er eine Baritonstimme habe,
ich brauche nur die richtige Technik dafür. Die Einheit war zu kurz um noch weiter ins Detail
gehen zu können, diese Aussage blieb aber für die Dauer des Seminars und auch danach in
meinen Gedanken, und hat sich in den darauffolgenden Wochen mit weiterer Übung auch
schon als richtig erwiesen.
Weiters gab es ein Ensemble Workshop, begrenzt nur auf jüngere Teilnehmer. Mit Rafaela, der
Leiterin, sangen wir einige weitere Stücke. Diese unterschieden sich aber deutlich von den
Stücken, die wir mit Michael und Josep gesungen haben. Mit dabei waren ein Stück das
großteils nur aus Geräuschen und dem gesprochenen Wort besteht, ein hebräisches Lied,
sowie ein Gospelstück, welches wir auch beim Abschlusskonzert gesungen haben. Dadurch
gab es bei jeder Probe was neues und unterhaltsames, außerdem machte es einen
wesentlichen Unterschied die Stimme nur alleine, zu zweit oder zu dritt halten zu müssen.
Bei den Workshops wurde aber nicht nur gesungen, auch Tanzen war mit dabei. Mit Franz
haben wir einige Choreographien des aus den USA stammenden Line Dance einstudiert. Diese
waren nicht nur beim Workshop sehr unterhaltsam, sie haben sich auch bei späteren Feiern als
praktisch erwiesen.
Als jemand ohne Erfahrung mit Chorleitung wollte ich mich eher an den sängerischen Aspekt
des Seminars fokussieren. Nachdem ich von anderen Teilnehmern nach der ersten Einheit viel
Positives über das Workshop zu Dirigieren für Anfänger gehört habe, entschied ich mich aber,
auch spontan mitzumachen. Hannah, die Leiterin, hat sich sehr bemüht, den Workshop
lehrreich und unterhaltsam zu machen. Dabei war das Lernen der Bewegungen nur ein
Bestandteil davon. Unter anderem lernten wir über unterschiedliche Arten von Einsätzen, wie
man komplexere Taktarten zusammensetzt, wie man fließende Bewegungen macht sowie die
korrekte Haltung beim Dirigieren. Wir hatten auch mehrere Möglichkeiten, die anderen
Teilnehmer zu dirigieren und herauszufinden, wo wir uns noch verbessern können. Während
und nach diesem Workshop fing ich an, die Chorleiter im Seminar mit einem neuen Interesse
genauer zu beobachten.
Die Tage vergingen, wie immer wenn viel los ist, schneller als erwartet. In unserem Quartier im
Zehnerhaus waren wir uns anfangs noch fremd, gegen dem Ende waren wir schon sozusagen
eine kleine Familie. Beim gemeinsamen Abendessen im Turm hat man vor dem Essen das
traditionelle “Aller Augen warten auf dich, Herre” nicht mehr nur mitgesummt, sondern auch
aktiv mitgesungen. Jeden Morgen begrüßte man vor der Probe mehr bekannte Leute. In den
Proben wurde immer mehr an Details gearbeitet, Josep und Michael hatten aber trotz der
Routine jeden Tag viel neues anzubieten. Sie haben mittlerweile immer weniger die Proben
geleitet, das wurde unter ihrem Auge von den Teilnehmern des Chorleitungskurses gemacht.
Ich fand es faszinierend wie jeder seine eigene Vorgehensweise sowie eigene Prioritäten hatte.
Nun kam der letzte Tag, der Tag des Abschlusskonzerts. Dieser wurde noch für letzte
Vorbereitungen und Planung verwendet bevor wir am Abend vor einem vollen Rittersaal auf die
Bühne gingen und noch ein letztes Mal gemeinsam sangen.
Das war aber nicht der letzte Auftritt des Abends. Um die Erinnerungen der vergangenen
Woche zusammenzufassen bereiteten die Bewohner des Zehnerhauses und des Turms eine
gemeinsame Anlage (in der Nacht davor um spezifisch zu sein, aber wer braucht schon
Schlaf?) vor, wo wir Ute, Michael und Josep mit unserer Zeitmaschine durch die Vergangenheit
und Zukunft von Goldegg schickten. Die Zeitmaschine funktionierte nicht ganz wie geplant, wir
haben es aber am Ende doch sicher in die Gegenwart geschafft und ließen den letzten Abend
und die Nacht gemeinsam ausklingen.
Als wir am nächsten Tag im Zug zurück nach Wien saßen blieb der Ohrwurm der Lieder, die wir
in der Woche gesungen haben, immer noch in meinen Gedanken. Nun bin ich wieder in der
Goldeggasse. Dass ich nächstes Jahr wieder dabei bin, ist schon entschieden. Vielleicht nehme
ich irgendwann auch als Chorleiter teil.